Lean Production – Kennzahlen sind die Basis
Anfang der 1990er-Jahre sorgten Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit einer Studie für Aufsehen. Zwischen 1985 und 1991 hatten sich 54 Experten in 15 Ländern die Produktionsprozesse von Automobilherstellern genau angeschaut und diese bewertet. Das Ergebnis: Japanische OEMs waren den europäischen und amerikanischen Herstellern weit überlegen – sie fertigten schneller und machten dabei weniger Fehler.
Grund für den deutlichen Vorsprung bei Effizienz und Qualität war ein vollständig anderes Produktionssystem. Dieses hatte Taiichi Ohno, Fertigungsleiter bei Toyota, Mitte der 1950er-Jahre konzipiert und danach kontinuierlich weiterentwickelt. Für die japanische Herangehensweise, die bis zur Veröffentlichungen der Studie in Europa und den USA im Grunde unbekannt war, etablierten die MIT-Forscher den Begriff „Lean Production“. Seitdem ist die schlanke Produktion für fertigende Unternehmen aus allen Branchen zu einer Leitidee geworden.
Werte schaffen, Verschwendungen vermeiden
Wer sie für die eigene Produktion realisieren möchte, sollte sich zunächst mit dem zentralen Gedanken vertraut machen. Ziel ist es, Werte zu schaffen und dabei sämtliche Verschwendungen (im Japanischen Muda) konsequent zu vermeiden. Dazu gehören Materialbewegungen (Transportation), Bestände (Inventory), Bewegungen (Motion), Wartezeiten (Waiting), Verarbeitung (Over-Processing), Überproduktion (Over-Production) sowie Korrekturen und Fehler (Defects). Sämtliche Aktivitäten, die für die Wertschöpfung notwendig sind, sollen dafür optimal aufeinander abgestimmt sein. Natürlich gelingt das nicht in einer einmaligen Anstrengung und ist dann für alle Zeiten erreicht. Stattdessen wird in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) der perfekte Zustand angestrebt.
Für die Praxis hat das eine wesentliche Implikation. Wenn Verschwendung vermieden und die Produktion kontinuierlich verbessert werden soll, dann müssen sich die Zustände zu verschiedenen Zeitpunkten messen und bewerten lassen. Beispielsweise muss klar sein, wie lange eine Maschine benötigt, um ein bestimmtes Werkstück zu bearbeiten, und wie viel dabei Ausschuss entsteht. Und diese Kennzahlen müssen nicht nur einmal erhoben werden, um die Ist-Situation zu bestimmen. Um zu wissen, ob ergriffene Maßnahmen funktionieren und Fortschritte erzielt werden, müssen sie regelmäßig generiert werden.
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Jetzt zum Webinar anmeldenDatenerfassung und Datenverarbeitung digitalisieren
Prinzipiell ist das mit ganz einfachen Mitteln möglich – mit Stift und Papier und einem Mitarbeiter im Shopfloor, der alle relevanten Größen regelmäßig festhält. Die so notierten Daten müssen am Ende jedes Tages oder am Ende jeder Schicht dem Werkleiter übergeben werden, der sie zu den definierten KPIs verdichtet. Klar, dass das niemand macht. Der Aufwand wäre immens. Leichter und schneller geht es bereits, wenn statt Stift und Papier eine Tabellenkalkulation wie Excel zum Einsatz kommt. Zumal dann, wenn der Mitarbeiter im Shopfloor die Daten direkt vor Ort in der Software erfasst. In nicht wenigen Unternehmen in Deutschland ist dieses Vorgehen bis heute üblich. Da aber auch hierbei der Aufwand ziemlich hoch ist, liegen die Analysezeitpunkte meist eher weit auseinander – Auswertungen erfolgen dann zum Beispiel nur monatlich oder nicht regelmäßig, sondern nur sporadisch. Viel enger und mit sehr viel weniger Aufwand fällt das Monitoring aus, wenn der komplette Vorgang digitalisiert ist. Wenn also Sensoren an den Maschinen die Daten erfassen und an ein Manufacturing Execution System weiterleiten, das automatisch die Kennzahlen errechnet – in einem beliebig engen Zeitraster, auf Maschinen- und Werkebene.
Vorteilhaft ist das nicht nur, weil mit der digitalisierten Datenerfassung und -bearbeitung sehr früh beurteilt werden kann, ob ergriffene Optimierungsmaßnahmen zum gewünschten Effekt führen. Werden die Werte in Echtzeit dargestellt, kann der Werkleiter auch erkennen, ob im aktuellen Moment im Shopfloor alles glatt läuft oder ob Störungen vorliegen, die unmittelbar behoben werden müssen. Mit dem Aufbau von Lean Production hat dieses Condition Monitoring aber nur indirekt etwas zu tun.
Interpretation und Kommunikation
Entscheidend sind vielmehr die Kennzahlen. Sie alleine genügen aber auch nicht, um eine Lean-Kultur zu etablieren. Denn die Zahlen müssen interpretiert und in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden. So kann beispielsweise eindeutig ablesbar sein, dass eine Maschine auffällig viele Stillstandzeiten aufweist. Die puren Maschinendaten sagen aber meist nicht, woran das liegt: an einem Defekt an der Maschine, an minderwertigen Materialien, die auf der Maschine verarbeitet werden, oder an einem ungünstig geplanten Produktionsprozess. Um das bestimmen zu können, sind zusätzliche Informationen nötig, die ein Mitarbeiter aus der Werkhalle liefern muss – dazu muss er die jeweilige Situation erkennen, interpretieren und dann entsprechend erfassen. Hinzu kommt, dass sämtliche Erkenntnisse klar an die Mitarbeiter in der Werkhalle kommuniziert werden müssen. Denn nur wenn sie direkt erleben, wie sich ihre Anstrengungen auswirken, werden sie dauerhaft zu einer kontinuierlichen Verbesserung beitragen.
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